In der Erinnerung verklärt sich oftmals die
Vergangenheit, man spricht von goldenen Zeiten. Doch in Wirklichkeit waren die
Zeiten genauso erfüllt mit harter Arbeit und
täglichem Kleinkram wie heute. Wie sahen nun die Anfänge der Brauerei HEINRICH REISSDORF
aus, wie ging es zu in einer Brauerei um die Jahrhundertwende? Dank einer Foto-Montage aus
dem Jahre 1902 kann man folgendes erkennen. Im Mittelpunkt der Fotografie sitzt vor fünf
großen Fässern die Prinzipalin Gertrud Reissdorf. An ihrer Seite vier ihrer Söhne
(außer Carl Reissdorf), der Prokurist Teller und die rund zwanzig Mitarbeiter.
Die brautechnische Hierarchie
lautete: Oben in der Rangfolge stand der Braumeister, ihm folgte der Oberbursch und an
dritter Stelle der Biersieder, auf unserem Bild Sepp Neumaier, der bis nach dem
2.Weltkrieg im Hause tätig war. Dahinter erkennt man den mehrstöckigen Bau der Brauerei
mit drei Kaminen und links unten die imposante Fassade des REISSDORF-Brauhauses. Das
Fuhrpersonal für die drei einspännigen Bierwagen und den Eis-Lieferwagen wartet am
unteren Rand des Bildes auf die Abfahrt in die Kundschaft. Im Anschluß an das Sudhaus
befand sich, in die Brauerei integriert, eine Kegelbahn, davor ein kleiner Biergarten.
Ursprünglich gab es im
REISSDORF-Brauhaus für das
"einfache Volk" eine separate Kölsch-Schänke, "En dr Pooz", wo
Obergäriges gezapft wurde. Die "Pooz" (Pforte) war die ehemalige Einfahrt zur
Brauerei. Dort mußten die Gäste die Wandbänke hochklappen, um die Fahrzeuge, die nach
hinten in die Brauerei wollten, passieren zu lassen. Im Brauhaus nebenan saß das bessere
Bürgertum. In der Mitte des Saales stand ein großer Eisenofen, der obendrauf ein
Wasserbad wärmte, in dem Gäste mit empfindlichem Magen ihr Bier temperieren konnten.
Normalerweise blies der echte Kölschtrinker den damals grobporigen Schaum, den
"Feldwebel", vom Bier und trank dann mit Genuß. Überwacht wurde der
Brauhaus-Betrieb aus dem "Thekenschaaf', der Kasse, das abwechselnd von den Inhabern
besetzt war, die mit Argusaugen die Köbesse im Blick hatte. Nach dem 1.Weltkrieg wurde
das Brauhaus verpachtet. Erster Pächter war Fritz Weber, dem Carl Neufeind, Heinrich
Keunecke und die Herren Claes und Greiner folgten. Der Bier-Ausstoß betrug in der
Vorkriegszeit 15.000 hl, von denen 3.-4.000 hl im REISSDORF-Brauhaus und im
Brauerei-Auschank in der Hermann-BeckerStraße ausgeschenkt wurden. Pferdefuhrwerke
lieferten bis nach Bergheim aus, und mit der Eisenbahn transportierte man Bier bis nach
Essen und Krefeld. Die Brautechnik hatte durch die Erfindungen, wie zum Beispiel der
Kühlmaschine von Linde, zu Ende des 19.Jahrhunderts ein so hohes industrielles Niveau
erreicht, daß die in die Großstädte strömenden Neubürger mit immer gleich gutem Bier
versorgt werden konnten.
Das Glas Kölsch für einen
Groschen, das konnten sich fast alle leisten.
Vielleicht nannte man sie deshalb
die gute alte Zeit. Ab 1923 gab es eine einschneidende Veränderung in der
Bier-Produktion, die zwar politischen Ursprungs war, aber die gesamte Technik umkrempelte.
Die Besetzung des Ruhrgebietes durch die französische Siegermacht und die dadurch
fehlende Lieferung von Steinkohle, um die Dampfkessel zu befeuern, zwang die Brauer zu
einem Wechsel der Energieversorgung. Anstatt der Steinkohle wurde nun Elektrizität
verwandt. Doch auch mit diesem Problem wurde man fertig, man stellte auf Elektro-Motoren
um. Die Braupfanne wurde mit Braun- oder Steinkohle befeuert, je nachdem welcher Brennstoff
gerade lieferbar war. Es ging eben doch nicht alles so glatt - in der "Guten alten
Zeit". Zwischen den beiden Weltkriegen war Alfons Günther der Oberbrauer, dessen
Nachfolger ab 1938 bis zur Ausbombung Franz Möginger.