Blond und flüssig

Stephan Szasz über eine Leuchtröhrenreklame

 

"Favoriten" - Unter diesem Stichwort stellen Gastautoren Attraktionen der Kölner Kulturszene vor - Personen, Orte, Werke oder Ereignisse.

Als ich 1988 zum erstenmal für drei Jahre nach Köln zog, ging ich am ersten Abend vom Rudolfplatz in Richtung Aachener Straße. Nach circa dreihundert Metern blieb ich verwundert stehen. Meine Augen wanderten nach links über die Häuserwand und sahen: Er trinkt, sie trinkt, Reissdorf-Männchen-Weibchen. Ich stand eine halbe Stunde vor dieser Leuchtröhrenreklame und verfolgte gebannt den ständigen Wechsel der Geschlechter.

Diese Werbung muß aus den 50er oder 60er Jahren stammen. Genau kann ich es nicht sagen. Was ich sagen kann, ist, daß ich 1996 bei meinem erneuten Umzug nach Köln am ersten Abend wieder zu meiner Werbung ging und überglücklich war, sie immer noch anzutreffen. Köln hatte sich in den fünf Jahren meiner Abwesenheit doch sehr verändert, aber das Reissdorf-Männchen-Weibchen trank weiterhin genüßlich und scheinbar unbekümmert sein Kölsch. Ich kann die Momente, ob nun alkoholisiert in der nach oben offenen Schauspielerskala oder auch nüchtern, nicht zählen, die ich vor diesem Wunder stand.

Ein Wunder, weil man beim Betrachten so viele liebevolle Details entdeckt. Er: Fliegenträger, mit unergründlichem Charme, trinkt mit geschlossenen Augen und einem lachenden Gesicht, bis der Körper von unten nach oben langsam mit blonder Flüssigkeit gefüllt ist. Sie: Rockträgerin, mit schemenhaft angedeuteten Stöckelschuhen, einer in die Stirn fallenden Locke, füllt sich ebenfalls mit blonder Flüssigkeit von unten nach oben.

Alle meine Freunde schleppe ich spätestens am zweiten Abend vor diese Wand. Aber, das hat die Zeit gezeigt: Ich bin nicht der einzige mit dieser Passion. Alle möglichen Leute, jeden Alters, ob allein oder in Begleitung, habe ich mit Begeisterung vor dieser Werbung stehen sehen. Ich plädiere dafür, dieses Reissdorf-Männchen-Weibchen unter Denkmalschutz zu stellen. Damit ich dann bei meinem nächsten Köln-Aufenthalt wieder mit leuchtenden Augen davor stehen kann. 

 

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